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Ausgrabungen an der ehemaligen
jüdischen Synagoge

Im Zusammenhang mit der Erarbeitung einer Marburger Stadtschrift zur Architektur und Geschichte des Synagogenbauwerks des ehemaligen Baudirektors Elmar Brohl und mit anfänglichen Überlegungen, einen Synagogenneubau auf dem Grundstück zu errichten, war deutlich geworden, dass die Fundamente und Gebäudeteile des Bauwerks, das dort 1938 durch Brandstiftung niedergebrannt wurde, unterhalb der Geländeoberkante noch vorhanden sein dürften. Nachdem die Jüdische Gemeinde Marburg bekanntlich 2005 in der Liebigstraße eine neue würdige Synagoge eingerichtet hat, legten die Kenntnisse über die baulichen Reste auf dem Grundstück in der Universitätsstraße nahe, eine Umgestaltung der 1963 dort entstandenen Gedenkstätte zu prüfen. Die Universitätsstadt Marburg und die Jüdische Gemeinde als Eigentümerin haben sich daher im Frühjahr 2008 darauf verständigt, auf diesem Grundstück eine Gedenkstätte einzurichten, die über die eindrucksvolle Architektur der ehemaligen Synagoge und die geschichtlichen Geschehnisse an diesem Ort informiert. Dazu waren zunächst archäologische Untersuchungen erforderlich. Diese wurden im Sommer 2008 durch die Stadt Marburg an das Freie Institut für Bauforschung und Dokumentation beauftragt. Wie zu erwarten, stießen die Archäologen auf Originalbausubstanz. Dazu zählten Reste der Außenmauern des einstigen Gemeindezentrums sowie die Fundamente der Säulen, die die Kuppel der Synagoge getragen haben. Besonders hervorzuheben ist jedoch die Entdeckung des Frauenbades, das 1897 zusammen mit der Synagoge geweiht worden war und den Gläubigen für rituelle Waschungen gedient hatte. Das Frauenbad ist mit Bodenplatten und Wandkacheln noch weitgehend erhalten. Bei den Ausgrabungen stieß man auch auf den Regenwasserspeicher und Rohre, durch die das Wasser ins Tauchbecken geleitet wurde. Erhalten geblieben sind zudem einige Treppenstufen, die hinab in das Bad führten.

Monika Bunk, Jürgen Rausch, Ein Garten des Gedenkens in der
Universitätsstraße in: Studier mal, Marburg, Januar 2010

Das 2. Sichtfenster

Bei der Freilegung der Grundmauern der ehemaligen Synagoge als Vorbereitung auf den Beginn der Baumaßnahme im Spätsommer 2011 ist auch der Sockel der ehemaligen Synagoge zur Universitätsstraße sichtbar geworden. Das hat dazu geführt, dass über ein 2. Sichtfenster, das dauerhaft einen Blick auf den Sockel ermöglichen soll, nachgedacht worden ist.

Grundsätzlich spricht der Entwurfsgedanke des beim Wettbewerb ausgezeichneten Büros gegen ein 2. Sichtfenster in der Skulptur. Es würde zu einer Überformung der ruhigen, monolithischen Skulptur führen, die nur durch das eine Sichtfenster über der Mikwe auf den spirituellen Inhalt des Ortes hinweisen möchte. Darüber hinaus befindet sich dieses Fenster in einer Achse mit der ehemaligen Torah-Nische. So wird der heiligste Ort der zerstörten Synagoge besonders gewürdigt.

Mit der neuen Überlegung, die Ansicht der Sockelmauer zu ermöglichen, sind 4 Varianten zu einem 2. Sichtfenster mit einem Pro-und-Kontra-Vergleich entwickelt worden. Dieser Vergleich, der nebenstehend aufgerufen werden kann, ist intensiv mit der jüdischen Gemeinde diskutiert worden.

Bei den Varianten 1 bis 3 ist nur ein Blick von oben auf die Grundmauern möglich. Deshalb sind diese verworfen worden.

Die Variante 4 – ein Sichtfenster über die Vorderkante der Skulptur hinweg – ermöglicht theoretisch den Blick auch von vorne auf die Sockelmauer. Sie ist ebenfalls verworfen worden, da diese Kante aus Stabilitätsgründen entweder aus massivem Material, wie z. B. Stahl, oder aus sehr dickem Glas gefertigt sein muss. In beiden Fällen wäre eine Durchsichtigkeit nicht mehr möglich; bei der doppelten Glaskante führt die Lichtbrechung bei der nötigen Glasdicke zur Undurchsichtigkeit, die Kante erscheint durchgefärbt grün. Zudem wäre das eine sehr teure Lösung gewesen.

Vor dem Hintergrund, dass keine Variante den gewünschten Blick auf die Sockelmauer zusammen mit der archäologischen Notwendigkeit des Schutzes der Funde ermöglicht, hat man den Gedanken an ein 2. Sichtfenster auch unter Würdigung des ursprünglichen Entwurfsgedankens und der hohen Mehrkosten wieder verworfen. Um die damalige Sichtbarkeit aller Funde dauerhaft zu ermöglichen, sind sie filmisch dokumentiert worden. Der Film ‚Archäologische Ausgrabungen an der ehemaligen jüdischen Synagoge in der Universitätsstraße’, der auch die Art und die Bedeutung der Funde erläutert, kann hier betrachtet werden.

Bernd Nützel, Juni 2012

 

 

Ausgrabungen an der
ehemaligen Synagoge
© IBD Marburg

Alternative Varianten
für zweite Sichtfenster

Hier können Sie sich die Pläne der
Varianten herunterladen